Wie wohl den meisten englischsprachigen Autoren gelingt es dem Ehepaar Peter und Elizabeth Fenwick, wissenschaftlich hochkomplexe Erkenntnisse – in diesem Fall aus dem Bereich der Neuropsychiatrie und Thanatologie – in einer für Laien verständlichen Sprache so darzulegen, dass die Lektüre fesselt. Einer der international führenden Nahtod-Forscher nimmt uns mit dieser durch Tatsachenberichte prall gefüllten Abhandlung auf eine spannende Forschungsreise in bisher verschlossene oder zumindest verschlossen geglaubte Welten mit.
Das Buch der Fenwicks steht in einer Tradition von Büchern, deren wissenschaftliche Seriosität vielfach angezweifelt wird und die in die Abteilung Parawissenschaften, also am Rande bzw. außerhalb der akademischen Forschung, befinden. Aufgrund der wissenschaftlichen Expertise, die vor allem Prof. Peter Fenwick mitbringt, lässt sich die vorliegende Veröffentlichung nicht einfach dieser Kategorie zuordnen. Ganz ohne Zweifel ist hier ein Wissenschaftler unterwegs, der das naturwissenschaftliche empirische Paradigma, dem der Mainstream folgt, zu eng findet, um die, wie er darzulegen in der Lage ist, überwältigende Fülle der Berichte von „vernünftigen und verständigen Menschen“ über Nah- und Vorübergehend-Todeserlebnisse wissenschaftlich sauber und angemessen zu interpretieren.
Mich hat überrascht, dass ein Neuropsychiater die seltsamen, aber ziemlich übereinstimmend berichtete Erlebnisse und Erfahrungen seiner Zeuginnen und Zeugen nicht gleich als Hirngespinste abtut, sondern – abseits des Mainstreams seiner Zunft – nach Interpretationsmöglichkeiten sucht, obwohl bzw. gerade, weil sie im Widerspruch zur orthodoxen Lehrmeinung stehen. Jeder Mensch gehört nach dem genialen polnisch-jüdischen Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck „mehreren Denkkollektiven“ an, wissenschaftlichen, religiösen usw. Wissenschaft ist nicht nur rational oder logisch, sondern durch Erziehung, Tradition, Aufeinanderfolge des Erkennens bestimmt. Tatsachen sind das, was eine jeweilige Gemeinschaft als Wahrheit akzeptiert. Das zur Beharrung neigende „Denkkollektiv“ ist durch einen gemeinsamen „Denkstil“ definiert, ein „gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen“. Dies führt dazu, dass alle Beteiligten schließlich das Gleiche sehen. Fenwick bricht aus diesem engen Denkkollektiv aus, und es hat etwas Befreiendes, das „derzeitige reduktionistische, mechanische, wissenschaftliche Bezugssystem“ zu verlassen – zumal für mich als Religionswissenschaftler, dessen eigene Zunft dem „Ideal“ der empirischen Naturwissenschaften nacheifert und Transzendentes ausklammert.
Prof. Fenwick macht Mut, gegen den vorherrschenden wissenschaftlichen Stachel zu löcken und neuen Paradigmen gegenüber aufgeschlossen(er) zu sein, insbesondere auch Erkenntnissen „östlicher“ Philosophie und Geistigkeit. Geradezu erheitert haben mich Fenwicks Beispiele aus der (Natur)Wissenschaftsgeschichte, die zeigen, dass zunächst für unmöglich und unwissenschaftlich Gehaltenes später akzeptiert wurde. Gut gefallen an der „Kunst des Sterbens“ haben mir auch die sauber recherchierten religionsgeschichtlichen Beispiele.
Vor allem aber hinterlässt das Buch Spuren bei mir, was die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben, Tod und dem Danach betrifft. Fenwick erinnert an die spätmittelalterliche ars moriendi („Sterbekunst“) und entwickelt auf bemerkenswerte Weise Grundzüge für eine solche im 21. Jahrhundert. Auch diese Beispiele zeigen, wie sehr sich der Neuropsychiater Fenwick mit Problemen außerhalb seines direkten Faches auskennt: mit spirituellen, seelsorgerlichen, gesellschaftlichen Problemstellungen. Sehr hilfreich scheinen mir seine praktischen Lösungsvorstellungen zu sein.
Allen, die mit Lebens- und Sterbehilfe professionell zu tun haben; allen, die sich in der zweiten Lebenshälfte befinden und Fragen nach dem Sinn des Lebens und Todes haben.