Sterbebettvisionen – Sterben von der Verantwortung her gedacht
Das Buch wird eingeführt von einem Reichtum an Sterbebettvisionen, die den Leser auch durchs ganze Buch begleiten. Sie sind den Beschreibungen anderer Autoren ähnlich, richten unser Augenmerk dabei auf die sich häufig wiederholenden Motive von «Aufbruch» und von «Reise». Verglichen mit Nahtoderfahrungen, ist im Buch kaum oder nicht die Rede von Tunnelerfahrungen und dem Licht am Ende des Tunnels. Sterbebettvisionen scheinen also doch ein etwas anderes, wenn auch ähnliches Phänomen zu sein.
Demgegenüber bleibt hier das Theoretische, die Reflexion im Hintergrund: Im Blick auf Sterbebett-Koinzidenzen verweist der Autor auf ein grundlegendes zwischenmenschliches Verbundensein als häufiger Hintergrund solcher Erfahrungen. Eine noch tiefere, erste oder letztliche non-duale Einheitswirklichkeit wird vorerst nicht bedacht. Dass hier Erklärungsbedarf bestehe, betont Fenwick selbst. Obwohl ich nicht nur Psychologin, sondern auch Theologin bin, oder vielleicht gerade deshalb, habe ich an vielen Stellen stärker, als Fenwick dies hier tut, das Bedürfnis, das Unerklärbare offen zu lassen. Fenwicks implizites Interesse scheint phänomenologisch zu sein und möchte dies, wie das Übergewicht an Beispielen zeigt, wohl auch bleiben. Er fragt: Was wird geschaut, erlebt und was tröstet am meisten? Darin, wie auch im phänomenologischen Zugang, sehe ich eine Stärke des Buches.
Im Kapitel ‘die Suche nach der Seele’ folgt dann eine gelungene Übersicht über die Entwicklung des Seelenbegriffes im Laufe der Geschichte der verschiedenen Kulturen und Religionen. Fenwick misst der “Ausserkörperlichen” Erfahrung eine besondere Bedeutung im Finden zu einem Seelenbegriff bei; ich würde eher von «spiritueller Erfahrung sprechen. Rund um den Tod würden wir lernen – so Fenwick – dass der Mensch mehr sei als Körper. In dem, was Menschen seit Jahrhunderten “Seele” nennen, werde dies konkret. Interessant ist die Aussage, dass die Seele «ein Ziel habe»; ich würde sagen, «der Seele wohnt ein Streben inne». Im Kapitel «die Reise nach Anderswo» legt Fenwick seine Überzeugung dar, dass die Seele nicht einfach mit dem Tod erlischt. Wenn wir grundsätzlich vom Menschen als Bürger in «zwei oder zweierlei Welten» ausgeht, erhält unsere Welt im Hier und Jetzt Sinn, und es gibt in dieser Schau persönliche transzendente Werte. Wir brauchen – so Fenwick – eine umfassende Sichtweise, die auch die instinktive Überzeugung über unseren Wert und unsere Verantwortung einschliesst. Wir dürfen und sollen davon ausgehen, dass wir «Teil eines grösseren Ganzen sind, dass wir für unsere Taten verantwortlich sind und dass diese an irgendeinem Punkt in der Zukunft für uns oder das Universum Folgen haben werden» (S.170-171). Es ist die Rede von einer starken Bewegung hin zu einer Wieder-Vergeistigung des Kosmos. Etwas schade finde ich, dass Fenwick dies nicht auf den Begriff «Liebe» hin zu Ende denkt. Das Buch als Ganzes beeindruckt phänomenologisch, d.h. vom Phänomen der Sterbebettvisionen und vom Bedürfnis nach verantwortetem Leben her. Ein sehr interessanter und in der gegenwärtigen Palliative Care untergewichteter Gedanke, das Sterben «von der Verantwortung her» zu denken!